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Stress ist heutzutage ein großes Thema, nicht nur bei uns Menschen. Auch die Pferde leiden immer häufiger unter chronischem Stress. Leider erkennen das nur wenige Besitzer, bis sich dann Symptome zeigen, die den Alltag oder Umgang mit dem Tier erschweren und belasten. Wie du Stress frühzeitig erkennen kannst, wie und wo genau er entsteht und welche Prozesse dabei im Körper ablaufen, erklären wir dir in diesem Artikel.
Warum ist Stress ein Problem?
Warum ist Stress beim Pferd (und auch bei uns Menschen 😉 ) überhaupt so ein großes Problem? Dafür muss man erst einmal verstehen, was im Körper bei Stress passiert und wie er darauf reagiert. Außerdem gibt es verschiedene Arten von Stress, auf die wir auch gleich näher eingehen werden.
Ein System, zwei Mitspieler
Das Pferd wird als Fluchttier vom vegetativen Nervensystem beherrscht. Dieses steuert unwillkürliche Körperfunktionen wie beispielsweise die Atmung, die Verdauung, den Herzschlag uvm. Also Abläufe, die nicht willentlich gesteuert werden können, sondern von Hormonen beeinflusst werden.
Dieses System hat zwei Mitspieler: den Sympathikus und den Parasympathikus. Diese zwei sorgen für ein hormonelles Gleichgewicht im Körper des Pferdes (und unserem) und treten je nach Situation mal mehr mal weniger stark auf.
Der Sympathikus ist dabei für Situationen zuständig, die wir allgemein als Stressauslöser bezeichnen. Im Falle des Pferdes wäre das zum Beispiel der Angriff eines Rudels Wölfe, das Flucht und Überlebenskampf bedeutet und seinen Fluchtinstinkt auslöst. Der Sympathikus springt an, ausgelöst durch die Ausschüttung von Hormonen:
Der Herzschlag erhöht sich, die Atemwege weiten sich, Hör- und Sehvermögen werden schärfer, die Verdauung fährt runter und die Skelettmuskulatur wird vermehrt durchblutet – das Pferd ist im Fluchtmodus.
Dafür muss dann der Körper am anderen Ende sparen und beispielsweise Erneuerungs- und Wachstumsprozesse hemmen. Was das zur Folge hat, schauen wir uns weiter unten an.
Hat sich die Situation beruhigt, übernimmt der Parasympathikus als Gegenspieler. Puls und Atmung werden wieder ruhiger, die Verdauung arbeitet wieder und es wird vermehrt Blut in die Eingeweide gepumpt. Das Pferd ruht und verdaut.
Die Natur hat hier also wieder mal eine Meisterleistung vollbracht und ein extrem ausgeklügeltes System konstruiert. Dieses System funktioniert einwandfrei – wenn die äußeren Umstände passen und der regelmäßige Wechsel von Stress- und Ruhephasen gegeben ist.
Problematisch wird es erst dann, wenn Stressfaktoren dauerhaft auf ein Individuum einwirken und so kaum noch Ruhephasen entstehen.
Akuter vs. chronischer Stress
Rein physiologisch ist Stress erst mal etwas Gutes. Wie so oft kommt es auf die Dosis an!
Man unterscheidet kurze Stressphasen und langanhaltende, also akuten Stress und chronischen Stress.
Der akute Stress ist beim Pferd beispielsweise die oben beschriebene Fluchtsituation, wenn ein Raubtier angreift. Unsere domestizierten Pferde werden solchen Situationen eher weniger begegnen. Für sie kann akuter Stress beispielsweise ein Transport, eine Trainingseinheit oder das Turnier am Wochenende sein.
Alles Situationen, die nach kurzer Zeit wieder beendet sind und durch eine ruhigere Situation (die Heimkehr in den Stall, das angenehme Abduschen nach dem Training etc.) ersetzt werden. Und auch wenn das alles Situationen sind, in denen dein Pferd nicht fliehen möchte, hat es doch Stress und der Sympathikus ist aktiv. Denn nur, weil es an eine Situation so weit gewöhnt ist, dass es nicht mehr fliehen möchte, heißt das noch nicht, dass es keinen Stress hat!
Im Gegensatz dazu steht der chronische Stress.
Stress wird chronisch, sobald akuter Stress über einen längeren Zeitraum andauert und das Pferd keine oder kaum noch echte Ruhephasen dazwischen hat.
Das kann zum Beispiel der Fall sein, wenn ein Pferd sich absolut nicht an die (neue) Stallsituation gewöhnen kann. Das mag am Tagesablauf liegen, den Koppelpartnern oder der Herdenstruktur im Offen-/Aktivstall – es gibt viele Gründe. Diese Pferde halten die Situation dann oft nur aus und scheinen für den ungeübten Betrachter eigentlich zufrieden zu sein. Schaut man aber genauer hin, fällt bald auf, dass hier etwas nicht stimmt.
Aber auch das Gegenteil kann der Fall sein: Das Pferd ist dauerhaft nervös und „zappelig“. Hier ist der Stress deutlicher zu sehen und zu erkennen.
Bei chronisch gestressten Tieren wird das Hormon Cortisol freigesetzt. Dieses Hormon hat Auswirkungen auf das Immunsystem und kann es schwächen. Das hat zur Folge, dass das Pferd gesundheitliche Schäden davon tragen kann bzw. auf Dauer davon tragen wird. Es reagiert mit häufigen Infekten, eventuell Allergien oder gar Haarlingen. Diese sind ein Zeichen für ein unterdrücktes Immunsystem.
Außerdem sind gestresste Pferde oft dauerhaft angespannt, da sie innerlich im Fluchtmodus sind. Das Bindegewebe reagiert auf die ständig ausgeschütteten Stress-Hormone und Muskeln bleiben angespannt, Faszien (die dünne Bindegewebsschicht um den Muskel herum) kontrahieren. Das Ergebnis: Das Pferd hat ständig Schmerzen und nimmt eine Schonhaltung ein.
Durch die ständige Anspannung verkleben Faszien und verdicken, das hat chronische Schmerzen und frühzeitigen Verschleiß von anderen Strukturen (meist Gelenken) zur Folge. Rittigkeitsprobleme, Entwicklung von Sattelzwang und anderen „Marotten“ ist da vorprogrammiert.
Denk nur an dich selbst: Mit verspannten Schultern auch noch einen Rucksack tragen? Nein danke!
Eine verdickte und verklebte Rückenfaszie ist übrigens auch oft der Grund bei uns Menschen für unspezifische Rückenschmerzen, wie sie fast jede/r in unserer westlichen Gesellschaft erleidet.
Ist beim Pferd der Kiefer und die Kaumuskulatur verspannt, hat das auch Auswirkungen auf den ganzen Körper. Über das knöcherne Zungenbein ist die Kaumuskulatur nämlich direkt mit der Vorhand und damit dem ganzen Körper verbunden. Kauübungen an der Hand können bei vielen (gestressten) Pferden also Wunder wirken!
Stress kann weiterhin Magengeschwüre hervorrufen, die hochgradig schmerzhaft sein können. Der Magen wird bei chronischem Stress weniger gut durchblutet (die Verdauung ist ja gehemmt, wenn der Sympathikus dauerhaft aktiv ist), der Nahrungsbrei weniger durchmischt und vermehrt Magensäure produziert. Diese greift die Magenschleimhaut an und Geschwüre entstehen.
Stoffwechselprobleme können entstehen, wenn der Stress sehr lange anhält und den ganzen Körper in ein Ungleichgewicht bringt.
In den letzten Jahren häufen sich die Fälle von Pseudonarkolepsie. Dabei klappen den Pferden buchstäblich die Beine unter dem Bauch weg und sie stürzen teilweise schwer. Verursacht wird das durch Schlafmangel, eine Auswirkung von Stress (meist passt hier grundlegendes an der Form der Haltung nicht! Entweder zu wenig Platz zum Ablegen oder unpassende Herdenstrukturen, die einem Pferd das Schlafen unmöglich machen)
Neben den körperlichen Auswirkungen gibt es auch psychische, die sich ebenfalls ganz unterschiedlich darstellen. Manche Pferde werden aggressiv, andere fallen in eine erlernte Hilflosigkeit oder werden depressiv. Koppen, Weben und Boxenlauf sind ebenso Auswirkungen von chronischem Stress.
Weitere Anzeichen für starken Stress:
- (Auto-)Aggression
- Verhaltensstörungen (Weben, Boxenlaufen, Kopfschlagen etc.)
- Steigen, Beißen, Treten, Durchgehen
- Entwicklung von Stereotypien
- Plötzlicher Gewichtsverlust
- Plötzliche Veränderungen im Verhalten (insb. zum Negativen)
- (Plötzliche) Schreckhaftigkeit, Unruhe, Unberechenbarkeit, Angst
Diese Anzeichen mit Stress und dessen Ursachen in Verbindung zu bringen ist oft wirklich nicht leicht. Hinzu kommt, dass unsere geliebten Vierbeiner keinen Schmerzlaut haben und somit leise leiden. Sie sind also umso mehr darauf angewiesen, dass wir sie gut „lesen“ können und rechtzeitig erkennen, wenn etwas nicht stimmt!
Auslöser für Stress beim Pferd
Zusammengefasst (aber sicher nicht vollständig) hier die häufigsten Auslöser für (chronischen) Stress:
- Ungeliebter Boxnachbar
Box an Box mit einem ungeliebten anderen Pferd kann hochgradig stressig sein, da sich die Pferde nicht aus dem Weg gehen können.
- Niedrige Rangordnung
Pferde, die sehr tief in der Rangordnung stehen, haben bei unpassenden Bedingungen oft Schwierigkeiten ihre Grundbedürfnisse zu erfüllen (Fressen, Schlafen, soziale Kontakte) – auf Dauer hochgradig stressig. - Führungsposition in der Herde
Andersherum kann auch das Innehaben der Führungsposition innerhalb einer Herde extrem anspruchsvoll werden. Manche Pferde kommen in dieser Position nicht zur Ruhe, weil sie ständig irgendetwas „regeln“ müssen. - Platzmangel
Platzmangel kann es in jeder Haltungsform geben. Hat ein Pferd nicht genug Platz – zum Ablegen, Fressen, Bewegen – ist das Stress pur. Eine interessante Studie zum Thema gibt es hier. - Bewegungsmangel
Das Pferd ist ein Lauftier und braucht Bewegung – auch ohne Mensch oben drauf oder neben dran. - Hunger
Hunger ist purer Stress für ein Pferd. Das Verdauungssystem ist darauf ausgelegt, dass ständig Nahrung nachkommt. Fresspausen von mehr als 4 Stunden sind gesundheitsgefährdend. - Rangelei ums Futter
Wenn nicht genügend Futterstellen angeboten werden, sodass sich die Pferde aus dem Weg gehen können, kann es ständig Rangeleien ums Futter geben. Das stresst und kostet Energie. - Schmerz
Schmerzende Hufe, Ecken an den Zähnen oder andere nicht erkannte Schmerzquellen können ebenfalls Auslöser für dauerhaften Stress sein. - Falsche Trainingsmethode
Dazu muss nicht viel gesagt werden – Stress, Druck und Schmerz haben im Pferdetraining nichts verloren 😉 - Stallwechsel
Manche Pferde kommen mit einem Stallwechsel nicht gut klar und reagieren mit Stress. - Turnier
Ein Turnier ist meistens mit Stress verbunden, der jedoch auch schnell wieder abklingt, wenn das Turnier vorbei ist. Problematisch wird es meist, wenn es häufig aufs Turnier geht und das Pferd sich absolut nicht an diese Situation gewöhnen kann. - Unpassender Sattel, Trense, Gebiss
Unpassende Ausrüstung kann Schmerzen bereiten und Schmerzen lösen wiederum Stress aus.
(Frühe) Anzeichen für Stress beim Pferd
Neben den oben beschriebenen Auswirkungen von Stress gibt es auch schon viel früher Anzeichen, die man erkennen sollte. Denn hat der Stress sich einmal so weit ausgewirkt, wie oben beschrieben, ist es eigentlich schon fünf NACH zwölf!
So kannst du Stress bei deinem Pferd erkennen:
- Unwillikgeit im Training
- (Übermäßiger) Futterneid
- Absondern aus der Herde
- Gekräuselte Nase
- Zähneknirschen
- Schweif schlagen
- Ohren anlegen
- Nervöses oder aggressives Ohrenspiel
- Das Weiße in den Augen
- Verspannte Kaumuskulatur deutet auf Schmerzen hin
- Wetzen der Zähne an Stangen
- Angespannte Mimik
- Erhöhte Körperspannung
- Zögern, Tänzeln
- Stumpfes Aussehen
- Teilnahmslosigkeit
Wichtig: Je nach Charakter, Lebenserfahrung, Erziehung und Training äußern Pferde Stress sehr unterschiedlich. Es kann also sein, dass dein Pferd sehr viele dieser Anzeichen oder aber auch nur ein einzelnes zeig.
Stress vorbeugen
Keiner möchte ein gestresstes Pferd im Stall haben. Deshalb ist es wichtig, dass wir dem Stress früh genug begegnen und unsere Pferde davor schützen. Kurzzeitiger Stress ist dabei allerdings gesund und nötig, wie wir weiter oben bereits erklärt haben.
Doch wie kann man nun präventiv handeln und das Pferd vor Stress schützen?
Zunächst müssen die Grundlagen stimmen und somit die Haltung. Hat dein Pferd ständig genug zu fressen in guter Qualität? Kann es sich zum Schlafen ablegen und bekommt auch genug Schlaf- und Ruhepausen? Ist es gut in die Herde integriert bzw. hat genügend soziale Kontakte? Kann es sich ausreichend frei bewegen?
Dies sind nur ein paar Fragen, die du dir selbst stellen kannst und Stellschrauben, an denen sich gut drehen lässt. Wie die optimale Haltung aussehen sollte, kannst du hier nochmal nachlesen.
Weiterhin solltest du immer ein Auge darauf haben, dass das Equipment (Sattel, Trense etc.) deinem Pferd gut passt und keine Schmerzen verursacht. Außerdem sollte es natürlich auch richtig verwendet und angepasst sein! Moderne Gurtsysteme unterstützen beispielsweise leider oft ein zu festes Gurten vor Trainingsbeginn. Das allein kann schon Auslöser für Stress und eine Gurtzwang sein.
Regelmäßige Kontrolle und fachgerechte Bearbeitung der Hufe und der Zähne sind eine weitere Möglichkeit Schmerzen und damit Stress zu vermeiden.
Zu guter Letzt: Lerne dein Pferd gut kennen und „lesen“! Dafür ist es nötig, dein Pferd auch außerhalb der „Nutzung“ zu beobachten. Schnapp dir doch beispielsweise eine Decke und ein gutes Picknick und verbringe einige Zeit in der Nähe deines Vierbeiners, so dass du ihn gut beobachten kannst. Du wirst vielleicht erstaunt sein, welche Verhaltensweisen dein Pferd an den Tag legt oder mit wem es befreundet ist und mit wem es so gar nicht zurecht kommt. Schau deinem Pferd auch immer genau ins Gesicht – die Pferdemimik kann so einiges offenbaren, wenn wir die stillen Zeichen erkennen und deuten können. Und auch das Fell hat große Aussagekraft – stumpf, glanzlos und farblos sollte es nicht sein, das sind Alarmsignale.
Fazit
Stress ist per se nichts Schlechtes und sogar unbedingt nötig, um das Gleichgewicht im Körper zu erhalten. Erst wenn der Stress chronisch wird, treten Probleme auf. Schmerzen, Unrittigkeiten, Aggressionen oder Depressionen sind nur einige Gesichter von chronischem Stress. Da unsere Pferde keinen Schmerzlaut haben ist es an uns, sie gut zu kennen und lesen zu können, damit wir frühzeitig reagieren können, wenn wir Stressfaktoren entdecken. Die mentale und physische Gesundheit unserer Pferde liegt in unseren Händen.
Quellen:
Pavo Futter: Tipps gegen Stress
Studie: Größere Liegeflächen erhöhen auch die Liegezeiten von Pferden