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Jeder gute Reiter und Pferdebesitzer sollte zumindest die Grundlagen der Anatomie des Pferdes verstehen – denn erst durch dieses Wissen werden die Zusammenhänge im Pferdekörper klar.
Anmerkung: Die gesamte Anatomie des Pferdes ist naheliegenderweise zu komplex, um sie in einem Blogartikel zu erklären. Wir konzentrieren uns daher auf Aspekte, die besonders praxisrelevant für Reiter sind und gehen in folgenden Beiträgen weiter auf einzelne Strukturen ein. Dieser Beitrag soll daher als Einstieg in die Materie und als erste Übersicht dienen.
Grundlagen
Das Pferd ist ein Lauftier. Sein Körper ist daher darauf ausgerichtet, sich einerseits effizient und schnell bewegen und andererseits lange Strecken bewältigen zu können.
Besonders deutlich wird das im Aufbau der Gliedmaßen. Schwere Strukturen wie große Muskeln befinden sich weiter oben am Bein, wohingegen unten am Bein nur die absolut notwendigen und leichteren Strukturen zu finden sind. Das ermöglicht dem Pferd, die langen Beine schnell und energiesparend zu bewegen. Zusätzlich kann das Pferd durch den Aufbau der Hintergliedmaßen schnell viel Energie freisetzen und somit schnell beschleunigen. Sicher hast du schon gehört, dass „der Motor hinten sitzt beim Pferd“ – das ist damit gemeint.
Sieht man sich das Pferd von oben oder gerade von vorne an, fällt auf, dass es im Verhältnis zur Länge und Höhe sehr schmal ist. Trotz seiner Masse ist es daher relativ leicht aus der Balance zu bringen (im Sinne von ungesunden Belastungen, nicht Stürzen). Das ist der Grund, warum der richtige, ausbalancierte Sitz des Reiters ein absolutes MUSS ist – denn nur so stört man das Pferd nicht in seinen Bewegungen, kann die Balance des Pferdes positiv beeinflussen und sauber und tiergerecht reiten.
Kopf, Hals und Atmung
Um die Geschwindigkeiten auch auf längere Strecken aufrecht erhalten zu können, haben Pferde einen großen Brustkorb. Dieser besteht aus 18 Rippenpaaren und schützt Lungen und Herz. Die Atmung selbst läuft allerdings eher über die Bauch- als über die Brustatmung, weswegen es auch leichter ist, die Atmung des Pferdes an den Flanken zu kontrollieren. Wichtig zu wissen ist hier, dass Pferde nur über die Nüstern, nicht aber über das Maul atmen können – die Konsequenz für die Praxis ist, dass Sperr- und Nasenriemen nie zu eng sitzen dürfen, da sie (besonders bei intensiver Belastung) die Atmung des Pferdes beeinträchtigen können!
Im Ruhezustand atmet das Pferd etwa 8-16x pro Minute, unter Belastung sogar bis zu 120-180x pro Minute. Das Lungenvolumen beim Großpferd liegt bei 40-55 Liter. Im Galopp passt sich die Atmung der Bewegung des Pferdes an und findet rhythmisch bei jedem Galoppsprung statt. In Ruhe hingegen erfolgt die Ausatmung beim gesunden Pferd passiv.
Auch die Position von Kopf, Hals und Nacken haben großen Einfluss auf die Atemwege und das Blickfeld des Pferdes. Hier gibt es zwar viele Abstufungen, aber grundsätzlich lässt sich sagen: Je weiter die Nasenlinie des Pferdes hinter der Senkrechten ist, umso beeinträchtigter ist seine Atmung und umso eingeschränkter ist sein Blickfeld. Daher: Nase vor die Senkrechte, immer!
Inzwischen etwas bekannter ist auch das Zungenbein des Pferdes. Knöchern setzt es am Schädel an, muskulär (da es ja in der Zunge liegt) aber am Unterkiefer. Nicht selten findet man gebrochene Zungenbeine – zum Beispiel durch falsche und falsch verschnallte Zäumungen oder übermäßig große Krafteinwirkung.
Rücken und Wirbelsäule
Das Kernstück des Rückens bildet die Wirbelsäule. Sie besteht beim Pferd aus 5 Abschnitten: Der Halswirbelsäule mit 7 Wirbeln, (HWS) Brustwirbelsäule mit 18 Wirbeln (BWS), Lendenwirbelsäule mit 6 Wirbeln (LWS, bei manchen Rassen auch 5 oder 7), dem Kreuzbein (bestehend aus 5 verwachsenen Wirbeln) und den Schwanzwirbeln (20-22). Zu dem, was wir als Rücken wahrnehmen, zählen die BWS, LWS und das Kreuzbein.
Jeder Wirbel besteht aus einem Wirbelkörper, Wirbelbogen und den Dornfortsätzen, die nach oben zeigen. Beim gesunden Pferd berühren sich diese Dornfortsätze nicht. Bei lang anhaltender falscher Belastung oder krankhaften Veränderungen der Wirbelsäule kann es allerdings vorkommen, dass sich diese Fortsätze permanent oder gelegentlich berühren. Dies ist in der Regel sehr schmerzhaft für das Pferd und auch als Kissing Spines bekannt. Übrigens: Der Widerrist wird aus den Dornfortsätzen eines Teils der BWS gebildet.
Ein besonders beweglicher Teil der Wirbelsäule ist die HWS. Das Gelenk des ersten Halswirbels (Atlas) ist auf und ab beweglich, das des zweiten (Axis) seitwärts. Daher nennt man die beiden auch Ja-Sager und Nein-Sager. Weiter hinten nimmt die Bewegungsfreiheit ab, besonders im Bereich des Brustkorbs (auch hier ist natürlich Bewegung möglich, aber durch die Platzierung der Rippen weniger, als in anderen Bereichen).
Zwischen den einzelnen Wirbeln befinden sich die Bandscheiben, die aus Knorpel bestehen (siehe unten). Innerhalb der Wirbel verläuft der Wirbelkanal, in dem sich, vom Wirbelkörper geschützt, das Rückenmark befindet.
Vorhand
Durch den Körperbau des Pferdes liegt sein Körperschwerpunkt vor der Mitte – eine Tatsache, die durch das Reitergewicht noch weiter verstärkt wird. Das Pferd läuft daher von Natur aus mehr auf der Vorhand, was ohne die Belastung durch den Menschen aber meist kein Problem darstellt. Erst die Nutzung als Reit- oder Arbeitspferd macht es nötig durch gezieltes Training die Belastung der Vorhand zu reduzieren, indem man die Hinterhand zu vermehrter Lastaufnahme befähigt (und bewegt). So wird Verschleiß und erhöhter Verletzungsanfälligkeit vorgebeugt und die höheren Lektionen überhaupt erst möglich. Ohne Reiter trägt die Vorhand etwa 65% des Gewichtes des Pferdes, je nach Rasse, Training und individuellem Körperbau aber auch mehr.
Im Vorderbein des Pferdes finden sich 6 Gelenke: Schultergelenk, Ellbogengelenk, Karpalgelenk sowie 3 Zehengelenke. Das Karpalgelenk entspricht damit dem menschlichen Handwurzelgelenk und setzt sich aus mehreren kleineren Knochen zusammen. Die Zehengelenke sind die Äquivalente zu den menschlichen Fingergelenken.
Hinterhand
Die Hinterhand umfasst den hinteren Teil von Rücken und Rumpf sowie die hinteren Gliedmaßen. Hier befindet sich das Iliosakralgelenk, auch bekannt als Kreuz-Darmbein-Gelenk. Wie der Name schon sagt, bildet es die gelenkige Verbindung zwischen Kreuzbein und Darmbein. Der Bewegungsspielraum dieses Gelenkes ist allerdings sehr klein.
Probleme mit dem Iliosakralgelenk können zum Beispiel nach Stürzen, Stößen oder durch falsche Belastung entstehen.
Hufe
Zu Hufen haben wir einen eigenen Artikel verfasst, auf den wir hier verweisen 🙂
Der Bewegungsapparat
Grundsätzlich unterscheidet man den aktiven und passiven Bewegungsapparat. Der aktive Bewegungsapparat besteht aus jenen Teilen des Pferdekörpers, die beweglich sind. Dazu gehören z.B. Muskeln, Sehnen und Faszien. Der passive Bewegungsapparat, auch Stützapparat genannt, besteht hingegen aus unbeweglichen Strukturen wie Knochen, Knorpeln, Gelenken und Bändern. Diese Begrifflichkeiten können etwas verwirrend sein, da auch der passive Bewegungsapparat nicht völlig statisch ist. Als Hilfe kann man sich merken, dass der aktive Bewegungsapparat den passiven bewegt (Muskeln und Sehnen bewegen aktiv Knochen, Bänder hingegen werden passiv bewegt).
Dabei sorgen die Knochen, sprich das Skelett, für die Form und Stabilität des Körpers, die Muskeln und Sehnen bewegen ihn und Bänder stabilisieren (vereinfacht dargestellt). Im Folgenden werden die einzelnen Strukturen kurz erklärt, in einem folgenden Beitrag werden wir genauer auf Aufbau, Heilung und Möglichkeiten zur Stärkung der einzelnen Strukturen eingehen.
Knochen
In den Grundzügen ist das Skelett des Pferdes dem des Menschen gar nicht so unähnlich – nur sind die Knochen anderes angeordnet. Auch wenn das Höhenwachstum bereits früher weitgehend abgeschlossen ist, ist das Skelett des Pferdes erst mit etwa 6 Jahren vollständig ausgewachsen. Aus diesem Grund ist es ratsam, jungen Pferden etwas mehr Zeit zu geben, als es heutzutage meist üblich ist. Trotzdem ist es wichtig, dass die jungen Pferde ihren Körper belasten – denn nur durch die Belastung werden die Knochen (wie auch der restliche Bewegungsapparat) auch gestärkt. Diese Belastung sollte vor allem in Form von viel Auslauf und Bewegung auf großen und teils unwegsamen bzw. hügeligen Flächen erfolgen.
Die Knochen dienen allerdings nicht nur der „Formgebung“, sondern schützen je nach Lage auch die darunterliegenden Strukturen. Zum Beispiel schützen die Rippen Lunge und Herz und der Schädel das Hirn. Weiters fungieren sie als Schutz für das Knochenmark.
Typische Verletzungen und Krankheiten der Knochen: Brüche, Fissuren, Knochenhautreizungen und -entzündungen.
Muskeln
Der Großteil der Muskeln setzt über Sehnen bzw. Sehnenfasern an gelenkig verbundenen Knochen an. Nur so können Gelenke überhaupt erst bewegt werden – die zugehörigen Muskeln kontrahieren und „ziehen“ so das Gelenk in die neue Position. Um die Stellung wieder aufzulösen, kontrahieren anschließend die Antagonisten (=Gegenspieler) dieser Muskeln.
Nicht alle Muskeln sind aber direkt an die Bewegung geknüpft – die Herz-, Atem- und Zwischenrippenmuskeln zum Beispiel erfüllen jeweils einen bestimmten Zweck, der nichts mit der Bewegung des Pferdekörpers an sich zu tun hat.
Muskeln sind stark durchblutetes Gewebe und „wachsen“ bei adäquaten Belastungsreizen. Dem geübten Betrachter verrät die Bemuskelung des Pferdes so einiges über dessen Training – die Art der Bemuskelung zu prüfen eignet sich daher auch gut für die Überprüfung der eigenen Trainingsqualität.
Typische Verletzungen und Erkrankungen der Muskulatur: Risse, Einrisse, Atrophie, Entzündungen.
Knorpel
Knorpel werden unterschieden in hyaline, elastische und Faserknorpel. Hyaline Knorpel findet man vor allem dort, wo hohe Druckbelastungen zustande kommen (z.B. Gelenke). Im Gegensatz zu den hyalinen, weißlich-bläulichen Knorpeln weisen die elastischen Knorpel eine eher gelbliche Färbung auf. Faserknorpel, auch Bindegewebsknorpel genannt, finden sich zum Beispiel in der Wirbelsäule in Form der Bandscheiben.
Alle Knorpel haben gemeinsam, dass sie nicht direkt durchblutet und daher im Vergleich zu anderen Strukturen, wie Muskeln, nur relativ schlecht mit Nährstoffen versorgt werden und dadurch deutlich schlechter heilen als andere Strukturen.
Typische Verletzungen der Knorpel: Arthrose, Abrieb, Ausfasern, Beschädigungen durch Unfälle.
Sehnen
Bewegt werden Knochen durch Sehnen. Sie verbinden Muskeln mit Knochen und bilden somit den Ansatz (Ursprung) des Muskels. Sehnen können rundlich, oval oder flach sein. In letzterem Fall bilden sie sogenannte Sehnenplatten.
Sehnen setzen direkt am Knochen an und sind extrem belastbar. Bei allzu großer Belastung können sie allerdings (ein-)reißen bzw. „ausreißen“ am Ansatz. Besonders bekannte Sehnen im Pferdekörper sind die tiefe Beugesehne und die Strecksehne. Wie der Name schon sagt, beugen und strecken diese Sehnen das Pferdebein. Am Vorderbein befindet sich die Strecksehne vorne (da das Bein durch die entsprechende Kontraktion vorne gestreckt wird) und die Beugesehne hinten (hier wird das Bein durch die Kontraktion der Antagonisten gebeugt).
Typische Verletzungen und Krankheiten der Sehnen: Einrisse, Risse, Schnitte nach Schlägen, Entzündungen, Ablösen des Sehnenansatzes vom Knochen nach besonders großen Belastungen.
Bänder
Bänder verbinden Knochen mit Knochen und befinden sich meist an den Gelenken, die so stabilisiert werden. Das wohl bekannteste Band des Pferdes ist das Nackenrückenband, das oberhalb der Dornfortsätze der HWS verläuft.
Typische Verletzungen der Bänder: Einrisse, Risse, Überdehnungen
Gelenke
Gelenke befinden sich dort, wo Knochen aufeinander treffen und Bewegung nötig ist. Sie bestehen aus mindestens 2 Knochen, den mit Knorpel überzogenen Gelenkenden, der von der Gelenkkapsel umschlossenen Gelenkhöhle und den zugehörigen Bändern.
Damit die Gelenkknorpel nicht direkt aufeinander reiben und sich so abnutzen, befindet sich innerhalb der Gelenkkapsel die Synovialflüssigkeit, auch bekannt als Gelenkschmiere. Um sich optimal zu verteilen ist etwas Zeit nötig, daher ist auch das Aufwärmen vor dem eigentlichen Training so wichtig.
Typische Verletzungen und Erkrankungen der Gelenke: Knorpelabrieb, Arthrose, Verletzungen nach Schlägen.
Fazit: Der Pferdekörper – Grundwissen für den Reiter
Über den Pferdekörper Bescheid zu wissen, ist unerlässlich für jeden Reiter und Pferdebesitzer. Nur so wird klar, welche Strukturen man im Training überhaupt anspricht, wie diese zusammenhängen und wo eventuelle Probleme herkommen könnten.
Quellen:
Bürger, Udo, Zietzschmann, Otto (1987, Nachdruck 2010). Der Reiter formt das Pferd. Tätigkeit und Entwicklung der Muskeln des Reitpferdes. FN Verlag.
Ellendorff, Franz (2010). Leistungstraining für das Pferd. Biologie und Trainingsprinzipien. Schlütersche.