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Gesundheit / Training

Pferdebeine bandagieren – Sinn oder Unsinn?

Inhalt

Zugegeben, hübsch sieht es ja meist schon aus, wenn die Pferdebeine passend zur Satteldecke bandagiert sind oder das Pferd die farblich passenden Gamaschen trägt. Was sich in den letzten Jahren zu einem regelrechten Modetrend in der Reiterwelt entwickelt hat, steht wissenschaftlich gesehen jedoch gar nicht gut da. Auch wenn das neue Set von Kraemer noch so toll ist und farblich genau zu dir und deinem Vierbeiner passt, solltest du dir überlegen, was du deinem Pferd mit dem Bandagieren der Beine antust – Gutes oder Schlechtes? Das klären wir in diesem Artikel.

Bandagen, Gamaschen & Co.

Zunächst sollten wir klären, welche unterschiedlichen Möglichkeiten es gibt, die Pferdebeine einzupacken.
Da wären zunächst die klassischen Bandagen. Die gibt es in den unterschiedlichsten Materialien, oft als Elastikbandage oder aus einem Polyester-Fleece-Gemisch. Die Bandagen können mit und ohne Bandagierunterlage verwendet werden. Und auch diese gibt es in den unterschiedlichsten Varianten – dick gepolstert oder als dünnlagigen Stoff.

Dann gibt es die klassischen Gamaschen, die oft in Verbindung mit Spring- und Stangentraining angewendet werden. Grund für die Verwendung ist häufig der Schutz der Pferdebeine vor äußeren Einwirkungen. Das kann eine Stange beim Sprung sein, ein dicker Stein beim Ausritt oder sogar das Pferdebein selbst. Einige unsere Vierbeiner neigen leider dazu, sich beim Gehen selbst zu streifen oder in schnelleren Gangarten gar mit den Hinterbeinen in die Vorderbeine zu greifen. Das kann natürlich zu bösen Verletzungen führen.
Um solche Verletzungen zu verhindern reichen Gamaschen manchmal nicht aus, denn häufig ist eher die Ballenregion betroffen. Es finden also auch Springglocken, Streichgamaschen und spezieller Ballenschutz Anwendung im Pferdesport.

Ein Set wie es häufig verwendet wird: Vorne Gamaschen in Kombination mit Springglocken, hinten Streichkappen

Exkurs Gallopprennsport

Im Galopp-Rennsport ist das vorgreifen der Hinterhand in die Vorhand die häufigste Ursache für gebrochene Pferdebeine. Das Hinterbein greift so weit vor, dass es die Sehne des Vorderbeins trifft. Durch den leichten Cut der Sehne reißt diese jedoch sofort komplett unter der hohen Belastung im Rennen – das Resultat ist ein gebrochenes Bein und der Tod des Tieres.
Dieser Effekt ist im nachfolgenden Video wunderbar zu sehen und für uns als Wissenschaftlerinnen unglaublich spannend.
ABER ACHTUNG! Das Video ist nicht für Kinder oder Menschen geeignet, die kein Blut und oder tote Tiere sehen können. Es wird anhand eines sezierten Pferdekadavers der vorher beschriebene Effekt eindrücklich gezeigt.

Inside nature’s giants: Racehorse – Wissenschaftsdoku über die Körperfunktionen des Pferdes (englische Sprache)

Schutzfunktion von Gamschen und Co.

Grundsätzlich ist eine Verwendung von Gamaschen und Co. als Schutz vor Verletzungen natürlich sinnvoll. Liegt es jedoch am Gang des Pferdes, sollte unbedingt an der Korrektur gearbeitet werden. Streift sich das Pferd selbst an den Gelenken, weil es eher wie ein Model auf dem Laufsteg geht und die Beine fast gekreuzt aufsetzt, ist das eindeutig ein Fall für Korrekturtraining. Ein Blick auf die Hufsituation sollte dabei auch nicht außer Acht gelassen werden! Der Huf ist schließlich die Basis jeder Bewegung, wenn hier bereits etwas nicht stimmt, wird auch die Korrektur von oben auf Dauer nichts bringen.

Ein anderer Fall ist es, wenn es um das Treten der Hinterbeine in die Ballen der Vorderbeine geht. Das liegt heutzutage leider oft an der Zucht. Die Pferde werden auf immer mehr Gang gezüchtet und treten schon von allein unfassbar weit unter. In Kombination mit einem festen Rücken, der nicht mitschwingt, ist das Resultat eben das Treten in die Ballen. Wir lassen diesen Punkt einfach mal so stehen, denn die Diskussion des Zuchtproblems würde ein ganz neues Fass aufmachen 😉

Verwendest du in deinem Training Gamaschen oder anderes, dann solltest du dir trotzdem im Klaren sein, dass sich unter diesen auch ordentlich Hitze staut. Für den Zeitraum des Trainings ist das noch hinzunehmen. Du solltest jedoch jeglichen Beinschutz sofort nach dem Training wieder entfernen und kühle Luft oder im Zweifel kühlendes Wasser ans Pferdebein lassen.
Gänzlich ungeeignet ist es, die Pferdebeine für Weide und Koppel dick einzupacken. Gamaschen und Co. sind einfach nicht dazu gedacht, sie für längere Zeit am Pferdebein zu lassen. Der Hitzestau kann zu ungewünschten Folgen führen und das Pferdebein sogar eher schwächen als schützen.

Verwendung von Bandagen

Da die Verwendung von Gamaschen und anderen schützenden Produkten geklärt ist, schauen wir uns nochmal genauer die so gerne verwendeten Bandagen an („weil die ja so hübsch sind“).

Der größte Unterschied liegt im Material und dem Anwendungsbereich. Auch heute noch werden leider viel zu oft Stallbandagen angelegt. Das bedeutet, dass das Pferd die ganze Nacht bzw. eben die Zeit in der Box Bandagen trägt. Als Grund wird meist angegeben, dass dies zur Vorbeugung von angelaufenen Beinen gemacht wird.

Viele Pferde neigen zu angelaufenen Beinen, also angesammelter Lymphflüssigkeit, die sich eben am tiefsten Punkt sammelt. Tatsächlich sind bandagierte Pferdebeine weniger angelaufen am nächsten Tag. Jedoch trügt dieses Ergebnis gewaltig! Denn was tatsächlich passiert ist folgendes: Die Lymphflüssigkeit wird lediglich daran gehindert, in die Beine zu laufen und sich dort zu sammeln. Das hat zur Folge, das das Bein nicht ordentlich versorgt wird (Lymphe transportiert Schadstoffe vom Gewebe weg und frische Nährstoffe hin) und auf lange Sicht noch mehr Schaden nimmt. Hinzu kommt der Hitzestau, der unter den dick eingewickelten Beinen unweigerlich zustande kommt (Fedele et al., 2006).

Wir verstehen diese Anwendung sowieso absolut nicht. Denn ein derartiges Anlaufen der Beine kommt im Normalfall nur Zustande, wenn zu wenig Bewegung im Spiel ist! Warum also ein gesundes Pferd unnötig bandagieren und nicht einfach mehr Bewegen lassen? Hier spielen wir natürlich auf die Haltung und die Grundbedürfnisse des Pferdes an.

Ähnlich sieht es auch aus, wenn solche Bandagen nur für die Zeit des Trainings verwendet werden. Sie bieten kaum bis gar keine Schutzfunktion vor äußeren Einflüssen und behindern sogar den ungestörten Lymph- und Blutfluss im Bein (Korella, 2007). Doch gerade im Training sollte da doch alles ungestört ablaufen, oder nicht? Und auch hier kommt der Wärmestau unterhalb der Bandagen wieder zum Tragen. Durch das verwendete Material ist dieser oft sogar noch höher, als bei Gamaschen, vor allem bei Verwendung von Bandagierunterlagen.

Ganz fies wird es bei Verwendung von Elastikbandagen. Diese werden (beabsichtigt oder nicht) oft viel zu fest gewickelt, da durch den Elastikanteil in der Bandage ein zuziehen noch einfacher wird.

Medizinische Verwendung von Bandagen

In dieser Betrachtung der Verwendung von Bandagen und anderen üblichen Produkten für die Pferdebeine, beziehen wir uns ausdrücklich auf die Verwendung bei gesunden Pferden.
Wenn es um die medizinische Verwendung von Bandagen geht, sieht die Welt natürlich schon wieder ganz anders aus.

Dass es hier durchaus Fälle gibt, die ein bandagieren nötig machen, ist klar. Aber auch hier sollte auf die Art und Anwendung der Bandagen geachtet werden und der Nutzen mit dem Schaden täglich abgewogen werden. In solchen Fällen solltest du dich aber immer eng mit deinem betreuenden Tierarzt/-ärztin absprechen. Und falls du Zweifel an der Sinnhaftigkeit der Behandlung hast, darfst du diese auch immer ansprechen! Manchmal fehlt vielleicht einfach eine Erklärung von Seiten des Tierarztes / der Tierärztin, damit auch du als BesitzerIn die Behandlung nachvollziehen kannst.

Fazit

Das Bandagieren der Pferdebeine ist in den allermeisten Fällen Unsinn. Reiter fallen dabei oft der Industrie zum Opfer, die uns diese schönen Sets vor die Nase hält und in Hochglanzkatalogen präsentiert. Einzig und allein bei Gangfehlern und zum Schutz vor kleineren Gegenständen beim Ausritt machen Gamaschen, Streichkappen und Ballenschutz Sinn. Außerhalb des Trainings hat Beinschutz jedoch nichts zu suchen und kehrt die vermeintlich positiven Effekte auf lange Sicht ins negative um.
Überlege dir also gut, ob du das nächste Mal nicht auch ohne die coolen Bandagen in schoko-mint Optik passend zur Satteldecke auskommst. Dein Pferd wird es dir mit gesunden, ungestört arbeitenden Beinen danken!

Quellen:

Korella, N. S. (2007). Bewertung des Einflusses von Bandagen und Gamaschen auf das Volumen der Vorder- und Hintergliedmaßen des Pferdes in Bewegung anhand perometrischer Messungen. (2007).

Fedele, C. et al. (2006). Auswirkungen und klinische Relevanz vonWoll(Stall)bandagen mit wattierten Unterlegern und Strickstrümpfen auf den Lymphfluss im Pferdebein. Pferdeheilkunde 22-1. 17-22