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Training / Gesundheit

Warum wir Pferde unterschätzen – von Intelligenz und fehlenden Möglichkeiten

Inhalt

Die Intelligenz- und Kognitionsforschung im Bereich der Equiden hat in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht. Ging man früher noch davon aus, dass Pferde nur wenig intelligent wären, weiß man inzwischen, dass genau das Gegenteil der Fall ist. 

Trotzdem werden Pferde leider auch heute noch häufig unterschätzt. Doch woran liegt das?  Aus unserer Sicht gibt es dafür zwei Hauptgründe.

2 Gründe, warum wir Pferde unterschätzen

1. Der falsche Vergleich

Der Mensch neigt sehr dazu, Intelligenz einseitig durch die eigene – eben menschliche – Brille zu betrachten. Durch diese erscheint das Verhalten anderer Spezies schnell „instinktgesteuert“, wenig nachvollziehbar oder sogar dumm. Was wir dabei nicht mitbedenken ist, dass jede Spezies eigene Ausdrucksweisen hat, die uns als Mensch oft schlichtweg entgehen. Menschliche Maßstäbe sind nur schlecht geeignet, um tierische Intelligenz zu bewerten!

Marlitt Wendt schreibt schon 2013 in ihrem Buch „Die Intelligenz der Pferde“: „Es hat seine eigene Art der Intelligenz, nicht unbedingt eine bessere, aber auch keine generell schlechtere. In manchen Punkten sind Pferde dem Menschen sogar überlegen, in anderen können sie nicht einmal Kleinkindern das Wasser reichen.“

Oder frei nach Albert Einstein: Wenn du einen Fisch danach beurteilst, ob er auf einen Baum klettern kann, wird er sein ganzes Leben glauben, dass er dumm ist.

2. Fehlende Möglichkeiten  

Pferde in menschlicher Obhut haben oft nur wenige Möglichkeiten, ihre Intelligenz oder Neugierde an ihrer Umwelt überhaupt zu zeigen. Nehmen wir das Beispiel eines Pferdes in Boxenhaltung, das eine Stunde am Tag trainiert wird und ein paar Stunden auf dem Einzelpaddock verbringt.

Die Box selbst bietet nichts, mit dem sich das Pferd beschäftigen könnte. Es wird daher den Großteil der Zeit mit Fressen und Stehen verbringen. Kommt nun der Mensch und möchte mit dem Pferd arbeiten, wird er es in der Box aufhalftern und ihm von da an jeden Schritt vorgeben: Wo geputzt wird, wo gesattelt wird, wo es sich hinstellen soll, was es tun soll etc. Beim Reiten (oder anderen Arbeiten) geht es so weiter: Der Reiter gibt dem Pferd in jeder Situation zu jedem Zeitpunkt vor, was es zu tun hat. Je nach Sichtweise des Reiters hat das Pferd dabei mitunter nur wenig bis kein Mitspracherecht.

Nach der Arbeit wird das Pferd vielleicht auf den Einzelpaddock gebracht, der aus einem Stück eingezäunter Wiese o.ä. besteht, aber ansonsten „leer“ ist. D.h. es gibt dort nichts, mit dem sich das Pferd beschäftigen könnte. Was wiederum bedeutet, dass es seine Zeit mit Fressen oder Stehen verbringen wird – im besten Fall hat es eine gute „Aussicht“, mit der es sich in dieser Zeit etwas unterhalten kann. Nach ein paar Stunden kommt jemand und führt es zurück in die Box, wo das Ganze von vorne losgeht. Oft hört man dann „der steht draußen auch nur rum, dann kann er gleich in der Box bleiben“.

Nie hat dieses Pferd die Gelegenheit, Erkundungs- oder Sozialverhalten zu zeigen oder sich einfach mit etwas auseinander zu setzen, das es neugierig macht. Es hat keine Möglichkeit, selbstständig zu lernen. Und vor allem hat es keine Möglichkeit, „intelligentes“ Verhalten zu zeigen

Wie machen wir’s besser?

Wenn wir uns also von diesen beiden Punkten befreien, werden wir schnell feststellen, was unsere Pferde alles verstehen, leisten und herausfinden können. Wusstest du zum Beispiel, dass Pferde sich selbst im Spiegel erkennen? (Baragli et alii, 2021). Dieses Verhalten wurde bisher nur mit Tieren wie Menschenaffen, Elefanten oder Walen in Verbindung gebracht und sollte uns wahrlich ein Licht aufgehen lassen. 

Ebenfalls belegt wurde,

  • dass Pferde teils aktiv die Aufmerksamkeit von Menschen auf sich lenken wollen, wenn sie wissen, dass diese ihnen mit etwas bestimmten helfen können und
  • dass Pferde Symbole nutzen können, um ihre Präferenzen zu kommunizieren (Mejdell et al., 2016).
Grafik_Warum wir Pferde unterschätzen
Grafik_Warum wir Pferde unterschätzen

Die meisten Pferde lernen äußerst gerne und sind sehr neugierig, wenn ihr Umfeld es zulässt und entsprechend gestaltet ist. Relevante Faktoren dafür sind „neben der jeweiligen Umwelt auch ihr soziales Umfeld, ihre Lebenserfahrungen und ihre individuelle Persönlichkeit. (…) Das kognitive Spektrum der Pferde ist somit immer geprägt von dem feinen Zusammenspiel ihrer Lebensbedingungen, ihres genetischen Erbes, ihrer sehr persönlichen Lebensgeschichte und ihren Lebenserfahrungen“ (Wendt, 2013).

Aber wie sieht ein Umfeld aus, in dem Pferde ihre Intelligenz zeigen können? In dem wir also aktiv beobachten können, wie sich unser Pferd bewusst mit seiner Umwelt auseinandersetzt? (Sehr) Kurz zusammengefasst, spielen u.a. folgende Punkte eine Rolle:

  • Stress ist kontraproduktiv – die Atmosphäre und das Pferd sollen daher entspannt und die Grundbedürfnisse des Pferdes müssen erfüllt sein.
  • Das Pferd muss die Möglichkeit haben, sich mit etwas auseinanderzusetzen, das es neugierig macht. Das kann ein Gegenstand, eine neue Situation, eine vom Menschen gestellte Aufgabe oder ähnliches sein. 
  • Das Pferd muss möglichst großen Handlungsspielraum haben. D.h. es sollte sich möglichst frei bewegen können und keine/kaum Vorgaben durch den Menschen erhalten (es sei denn, es handelt sich um eine konkrete Situation im Training, dann sind entsprechende Signale/Hilfestellungen des Menschen natürlich angebracht).
  • Dem Pferd muss genügend Zeit gegeben werden. Was für uns vielleicht für fehlendes Interesse gehalten wird (z.B. wenn das Pferd in eine andere Richtung blickt), kann genau der Augenblick sein, in dem es „Klick“ macht. Hier liegt es am Menschen, im Training die notwendige Geduld aufzubringen!
  • Das Pferd entscheidet selbst, wie viel es „gibt“ und wann es genug hat. Druck ist ebenso wie Stress kontraproduktiv.

Wichtig: Pferde, die eigenständiges Denken nicht gewohnt und/oder durch jahrelange Einzelhaltung und nicht tiergerechtes Training abgestumpft sind, zeigen interessantes Verhalten oder Interesse an ihrer Umwelt oft nicht im ersten Versuch. Sie brauchen Zeit, um quasi wieder „aufzutauen“. Gibt man ihnen diese, blühen sie oft regelrecht auf.

Ein „Fehler“ bzw. wenig produktiver Ansatz, den man oft beobachtet, ist, das Pferd z.B. einfach laufen zu lassen oder ihm ein Spielzeug zu geben. Diese Spielzeuge sind zwar gut gemeint, für viele Pferde allerdings nicht interessant, sodass sie sie eher links liegen lassen (die Ausnahme bilden meist verspielte Wallache). Besser wäre es, sich wirklich Zeit zu nehmen, um das eigene Pferd kennen zu lernen und zwanglos Zeit miteinander zu verbringen.

Hilfreich kann z.B. sein:

  • entspannt miteinander grasen gehen
  • spazieren gehen
  • das Pferd im Freilauf und auf der Koppel beobachten: Was findet es spannend? Was möchte es sich genauer ansehen? Wie interagiert es mit Artgenossen?

Konsequenzen für die Pferdehaltung

Es liegt in der Verantwortung des Besitzers, dem Pferd eine Umgebung zu bieten in der es sich auf tiergerechte Weise entfalten, seine Bedürfnisse ausleben und auf eine produktive, stressfreie Art mit seiner Umwelt interagieren kann.

Konkret bedeutet das, eine körperlich und geistig gesunde Haltungsform zu wählen, dem Pferd viel Sozialkontakt mit Artgenossen sowie Bewegungs- und Interaktionsanreize zu bieten und die Beschäftigung mit dem Pferd selbst so zu gestalten, dass es „mitarbeiten“ kann anstatt reiner Befehlsempfänger zu sein.

Ebenfalls in der Verantwortung des Besitzers liegt es, sich mit dem eigenen Pferd auseinanderzusetzen, es besser verstehen zu lernen und sich laufend weiterzubilden. Die Felder der Trainingslehre, Kognitionsforschung etc. bieten laufend neue, spannende Erkenntnisse die uns im Umgang mit dem Pferd voranbringen und neue Herangehensweisen erschließen können.

Fazit

Menschliche Maßstäbe sind nicht geeignet, um tierische Intelligenz zu beurteilen. Pferde sind auf ihre eigene Art sehr intelligente Tiere, die gerne lernen und sich gerne mit ihrer Umwelt beschäftigen. Diesen Bedürfnissen sollten wir im Trainingsalltag sowie in der Haltung nachkommen und ihnen Raum zur Entfaltung bieten. 

Quellen:

Wendt, Marlitt (2013). Die Intelligenz der Pferde – Ein kluger Kopf unter jedem Schopf. Cadmos.

Paolo Baragli, Chiara Scopa, Veronica Maglieri, Elisabetta Palag (2021). If horses had toes: demonstrating mirror self recognition at group level in Equus caballus. Springer.

Cecilie M. Mejdell, Turid Buvik, Grete H. M. Jørgensen, Knut E. Bøe (2016). Horses can learn to use symbols to communicate their preferences. Applied Animal Behaviour Science.

Zeitler-Feicht, Margit H. (2008) Handbuch Pferdeverhalten. Ulmer.