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Gelassenheitstraining – Sicherheit durch Vertrauen

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Sicher und entspannt im Gelände unterwegs, konzentriert und ungestört am Reitplatz – das wünscht sich jeder Reiter von seinem Pferd. Um das zu erreichen, wird oft auf das sogenannte Gelassenheitstraining zurückgegriffen. Was das eigentlich ist, wie du’s am besten angehst und auf was du achten musst, erfährst du in diesem Artikel.

Grundlegendes – gelassene Pferde sind sichere Pferde

Obwohl sich auch im Reitsport immer mehr tut hinsichtlich der technologischen Weiterentwicklung von Ausrüstung wie Helmen und Schutzwesten, ist Reiten immer noch gefährlicher als beispielsweise Motorradfahren und Skifahren.

Das liegt unter anderem daran, dass von Pferden aufgrund ihrer Größe und Masse per se schon ein gewisses Risiko ausgeht. Allerdings ist ein nicht unerheblicher Faktor auch, dass das von Pferden ausgehende Risiko selbst unter Berufsreitern oft als gegeben hingenommen wird, anstatt sich konkret damit zu beschäftigen, wie sich dieses Risiko reduzieren lässt (Thompson et al. 2015).

Für den Menschen gefährliche Verhaltensweisen des Pferdes werden in der Regel entweder durch Flucht- oder Abwehrinstinkte ausgelöst. Diese äußern sich unter anderem durch Durchgehen, Steigen, Buckeln, Beißen und Treten – allesamt höchst unangenehm, wenn man sich gerade neben oder auf dem Pferd befindet 😉

Prinzipiell zeigen Pferde „gefährliche“ Verhaltensweisen meist dann, wenn sie sich nicht sicher fühlen. So wie Menschen auch, versuchen Pferde aus gefährlichen Situationen zu entkommen oder sie von vornherein zu vermeiden. Wir können also das Bedürfnis nach Sicherheit nutzen, um unsere Pferde gezielt zu trainieren bzw. mit ihnen zu üben – andererseits müssen wir aber auch Situationen, Gegenstände etc. identifizieren, in denen das Pferd seine Sicherheit gefährdet sieht (Thompson et al. 2015). Dafür sollten wir immer wieder unsere menschliche Sichtweise ablegen und versuchen, sich in ein Pferd hineinzuversetzen (mehr dazu hier).

Der beste Ansatz, um den Umgang mit dem Pferd sicherer zu machen, ist also, diese potentiell gefährlichen Verhaltensweisen durch gezieltes Training sowie pferdegerechten Umgang und Haltung von Vornherein zu vermeiden.

Dabei wollen wir aber ganz deutlich sagen, dass wir Pferde natürlich NICHT per se für unberechenbar und gefährlich halten. Ganz im Gegenteil, unserer Erfahrung nach sind die meisten Pferde, bei entsprechender Aufzucht, von sich aus neugierig und positiv an ihrer Umwelt interessiert.

Dennoch gibt es auch unter Pferden sehr unterschiedliche Charaktere. Manche sind coole Socken, manche schreckhaft. Oft – wenn nicht sogar in den meisten Fällen – liegt es allerdings in der Hand (und Verantwortung!) des Menschen, wie das Pferd auf angsteinflößende Umweltreize reagiert.

Angst oder Unwohlsein äußert sich übrigens nicht nur durch die oben genannten Verhaltensweisen wie Durchgehen – auch Dinge wie „bockig sein“, Zögern, Tänzeln oder Verweigern sind oft deutliche Hinweise auf eine Unsicherheit des Pferdes. In diesen Situationen dürfen wir Pferde keinesfalls strafen (man stelle sich vor, wir würden ein Kind für seine Angst auch noch Ohrfeigen), sondern müssen nach den Ursachen suchen und sie beheben.

Leiner schreibt 2006 in ihrer Arbeit „Vergleich verschiedener Methoden zur Angstextinktion bei Pferden.“ dazu:

„Insgesamt kann man sagen, dass angstauslösende Reize und die Reaktionen des Pferdes darauf oft falsch eingeschätzt oder falsch interpretiert werden und in der Folge auch falsch damit umgegangen wird. Ein Grund dafür ist sicher das fehlende Wissen über das Verhalten des Pferdes.“

Weiters fährt sie fort:

„Es ist also nur von Vorteil sich so zu schulen, dass die Angst beim Pferd sofort erkannt und im Anschluss darauf entsprechend reagiert werden kann. Diese Schulungen (…) fördern nicht nur das Einfühlungs- und Beobachtungsvermögen des Menschen, zudem wird das Vertrauensverhältnis zwischen Reiter und Pferd um ein vielfaches gestärkt, denn solche Situationen geben dem Pferd die Möglichkeit zu erkennen, dass ihm in Gegenwart des Menschen keine Gefahr droht.“

Besonderen Fokus möchten wir dabei auf den letzten Halbsatz legen – das Pferd soll lernen, dass es vom Menschen nicht nur nichts zu befürchten hat, sondern ihm auch voll und ganz vertrauen kann! Dieses Vertrauen muss man sich als Mensch allerdings erarbeiten und verdienen. Mehr dazu in einem der kommenden Artikel.

Wir fassen zusammen: Ein Pferd, dass sich sicher fühlt und positives von seiner Umwelt erwartet, ist ein sicheres Pferd.

Nun bringen Pferde aber sehr unterschiedliche Erfahrungen mit, sodass oft gezieltes Training gefragt ist, um ihnen die nötige Sicherheit (zurück) zu geben und sie zu entspannten und verlässlichen Partnern zu machen – hier kommt das Gelassenheitstraining ins Spiel.

Gelassenheitstraining – was ist das und wie fange ich an?

Vereinfacht gesagt ist Gelassenheitstraining das gezielte und bewusste Auseinandersetzen mit Reizen, die zu Unsicherheiten seitens des Pferdes führen. Dieses Auseinandersetzen muss ruhig, freiwillig und ohne Druck geschehen – ansonsten erreicht man keine echte Gelassenheit und Entspanntheit, sondern lediglich Gehorsam trotz Angst (eine Konstellation, die durchaus explosiv und gefährlich werden kann!).

Richtig ausgeführt kann Gelassenheitstraining

  • die Bindung zwischen Pferd und Reiter stärken
  • das Vertrauen des Pferdes in „seinen“ Menschen stärken
  • das Verhalten des Pferdes nachhaltig zum Positiven verändern und es
  • dadurch sicherer machen im Umgang, Training und Alltag

Falsch ausgeführt kann Gelassenheitstraining

  • die Beziehung zwischen Pferd und Mensch nachhaltig schädigen
  • gefährliche Situationen provozieren
  • die Sicherheit von Pferd und Mensch gefährden

Wenn du dir nicht sicher bist oder noch keine Erfahrung mit dieser Art des Trainings hast, solltest du dir also am besten professionelle Hilfe holen.

Beim Gelassenheitstraining soll das Pferd folgende Dinge lernen:

  • sich mit neuen Dingen auseinanderzusetzen, anstatt sie zu meiden
  • dass es generell nichts zu befürchten hat im Alltag
  • dass „sein“ Mensch es nicht in gefährliche Situationen bringt und
  • es „seinem“ Menschen daher vertrauen kann

Wie aber fängt man am besten an?

Auch und besonders beim Gelassenheitstraining sollte die Freiwilligkeit seitens des Pferdes im Vordergrund stehen. Das ist deswegen so wichtig, weil das Pferd ja lernen soll, sich bewusst und selbstständig mit etwas zu beschäftigen, anstatt davor zu scheuen oder wegzulaufen. Das können wir nur dann erreichen, wenn wir dem Pferd einen gewissen Handlungsspielraum hat und selbstständig die Erfahrung machen kann, dass seine Angst unbegründet ist/war. Das können wir dem Pferd nicht abnehmen, diesen Schritt muss es selbst gehen – wir können dabei nur unterstützen und ihm zeigen, dass es (mit uns) nichts zu befürchten hat.

Zwang ist dabei natürlich Tabu, Lob und Bestätigung können und sollen (mit dem richtigen Timing) aber eingesetzt werden. Das Pferd soll lernen, dass man nichts unmögliches von ihm verlangt und seine Grenzen nicht überschreitet (es also aus Sicht des Pferdes nicht in Gefahr bringt).

Konkret bedeutet das für das Gelassenheitstraining, dass wir dem Pferd den gefürchteten Gegenstand immer erst aus sicherer Entfernung zeigen. „Sichere Entfernung“ meint hier die Distanz, bei der das Pferd seine Aufmerksamkeit zwar auf den Gegenstand richtet, sich aber noch ruhig verhält. Anschließend können wir es zum Beispiel einige Male daran vorbeiführen und dabei ganz langsam die Distanz verringern – aber immer nur so weit, dass das Pferd sich nicht veranlasst fühlt, diese Distanz eigenständig wieder zu vergrößern.

Wie es dann weitergeht, hängt vom Pferd ab. Manchen Pferden hilft eine gewisse Vorbildfunktion ihres Menschen oder anderer Pferde. In dem Fall kannst du dich selbst (oder eben ein anderes Pferd) mit dem Gegenstand beschäftigen und so deinem Pferd zeigen, dass nichts Schlimmes passiert. Ist dein Pferd auch noch eher von der neugierigen Sorte, möchte es sich dieses Ding dann vielleicht sogar ganz von selbst genauer ansehen – dieses Verhalten sollten wir unbedingt bestärken, die natürliche Neugier der Pferde kommt uns hier sehr entgegen. Bei solchen Pferden dauert das Training meist nicht besonders lange, da es sich ja aufgrund seiner Neugier von selbst mit dem Gegenstand beschäftigen möchte und sich so selbst bestätigt.

Andere Pferde zeigen keine intrinsische Motivation, sich mit etwas „Unheimlichen“ zu beschäftigen. In solchen Fällen ist man als Mensch besonders gefordert, da man ja einerseits ohne Zwang arbeiten, andererseits aber auch einen gewissen Trainingseffekt erzielen möchte. Bei vielen Pferden helfen hier viele kurze Wiederholungen; man kann das Pferd zum Beispiel immer wieder mit immer weniger Abstand am gefürchteten Gegenstand vorbeiführen, bis es irgendwann keine Abwehrreaktionen oder Anzeichen von Angst/Unwohlsein (siehe unten: Feedback des Pferdes) mehr zeigt. In schwierigen Fällen kann es mitunter auch mehrere Wochen dauern, bis das Pferd sich dabei schließlich wohl und sicher fühlt.

Pferde „vergessen“ übrigens das Training auch nach längerer Zeit nicht – in einer Studie zur Angstextinktion bei Pferden wurde festgestellt, dass der Trainingseffekt auch nach zwei Monaten Pause noch erhalten war (Leiner, 2006). Es bietet sich also an, phasenweise intensiver zu üben und dann später nur noch punktuell zu wiederholen, falls nötig.

Exkurs: Die Gelassenheitsprüfung

Initiiert von der Zeitschrift „Cavallo“ und der Deutschen Reiterlichen Vereinigung gibt es seit einigen Jahren die sogenannte Gelassenheitsprüfung. Sie wurde als breitensportliche Prüfung konzipiert, an der Pferd-Reiter-Paare auch außerhalb und unabhängig vom Turniersport teilnehmen können.

Die Gelassenheitsprüfung kann sowohl geführt als auch geritten absolviert werden, wobei eine bestandene geführte Prüfung als Voraussetzung für die gerittene gilt. Für die geführte GHP sind Pferde ab 3 Jahren zugelassen.

Im Rahmen der Gelassenheitsprüfung wurde „gelassen“ folgendermaßen definiert:

„Als gelassen gilt ein Pferd, wenn es die in der GHP verlangten Aufgaben aufmerksam, aber trotzdem ruhig und gehorsam mit einer deutlich erkennbaren Bereitschaft zur Mitarbeit bewältigt. Bei der Gelassenheit geht es nicht um die Unterdrückung des natürlichen Fluchtinstinkts des Pferdes, sondern vielmehr um innere Ruhe und Nervenstärke, die durch das Vertrauen zum Menschen, Respekt und Gehorsam im Umgang erlernt werden kann. “ (Cavallo, FN).

Die Kernaussage ist hier, dass das Pferd freiwillig und ohne Druck mitarbeiten soll.

Teile der Gelassenheitsprüfung sind unter anderem:

  • Vorstellen an der Hand
  • aufsteigende Luftballons hinter Hecke
  • Klapperkarre oder Rappelsack
  • Regenschirm
  • Rückwärtsrichten oder Rückwärtsrichten-L
  • Sprühflasche

Nähere Informationen zur Prüfung findest du in der 2018 überarbeiteten Version der Infobroschüre (Link: siehe Quellen am Ende des Artikels).

Ausrüstung und Material für‘s Gelassenheitstraining

Welche Materialien, Hindernisse und Ausrüstung du für das GHT brauchst, hängt ganz von deinem Pferd ab. Trainieren solltest du mit jenen Gegenständen (etc.), die dein Pferd unheimlich findet oder nicht kennt. Einige Ideen für das Gelassenheitstraining könnten zum Beispiel sein:

  • Regenschirme
  • Luftballons
  • Plastikplanen
  • Raschelvorhänge und -planen
  • Enge Durchgänge
  • Sprühflaschen
  • Gerätschaften und Maschinen (nicht eingeschaltet)
  • Skateboards, Roller, Fahrräder etc.
  • Wasser
  • laute/unerwartete Geräusche
  • andere Tiere (Rinder, Hühner, Hunde, Ziegen…aber bitte nur aus sicherer Entfernung!)
  • ungewohnte Untergründe, wie zum Beispiel Holzbrücken, Planen oder auch spiegelnde Pfützen

Am besten machst du dir vorab eine Liste und überlegst, welche Dinge deinem Pferd am Hof, beim Training oder im Gelände unheimlich sein könnten.

Voraussetzungen für das Gelassenheitstraining

Das GHT sollte in einer ruhigen Umgebung stattfinden, in der sich das Pferd sicher fühlt und sich konzentrieren kann. Je nachdem, wie dein Pferd bei Unsicherheiten reagiert, solltest du auch auf genügend Platz achten – einerseits muss das Pferd Platz zum Ausweichen haben, andererseits darfst du mit deinem Pferd andere auch nicht gefährden (wenn es zum Beispiel plötzlich auf die Seite springt o.Ä.).

Bevor du das Training mit deinem Pferd startest, solltest du dich selbst vorbereiten:

  • Überlege dir vorab, was genau du in dieser Einheit üben und erreichen möchtest
  • Bereite dich darauf vor, dass dein Pferd sich nicht an deinen Plan hält 😉 Was wir damit sagen wollen: Sei entspannt und verkrampfe dich trotz Plan nicht auf ein bestimmtes Ziel. An manchen Tagen wirst du mehr erreichen als gedacht, an anderen weniger. Das ist völlig in Ordnung, es geht hier um Vertrauen und Sicherheit, nicht um schnelle Erfolge.
  • Bereite den Übungsplatz vor – die Gegenstände oder Hindernisse sollten schon da sein, wenn du mit dem Pferd den Platz betrittst (du solltest sie nicht erst aufbauen müssen, wenn du dein Pferd im Schlepptau hast und es sich diesen Dingen schon nicht nähern möchte)
  • Sprich bei Bedarf mit Stallkollegen, die vielleicht ebenfalls gerade trainieren oder den Platz anderweitig nützen möchten
  • Wenn nötig, triff entsprechende Sicherheitsvorkehrungen (unnötige Gegenstände vom Platz räumen, Helm tragen, Tore schließen etc.)
  • Es sollte sich von selbst verstehen, aber die Bedürfnisse deines Pferdes müssen zum Zeitpunkt des Trainings erfüllt sein! D.h. es sollte weder übermäßig hungrig, noch durstig, müde oder unausgelastet sein oder seine sozialen Bedürfnisse vernachlässigt sehen. Nur ein Pferd, dessen Grundbedürfnisse erfüllt sind, kann sich wirklich auf das Training konzentrieren und produktiv mitarbeiten (das gilt übrigens für alle Arten des Trainings).
  • Hast du ein besonders schreckhaftes oder schwieriges Pferd kann es helfen, ein erfahrenes und ruhiges zweites Pferd in der Nähe zu haben, das deinem Pferd zeigt, dass es nichts zu befürchten hat.

Wenn dein Pferd bereits relativ ruhig und neugierig an die „unheimlichen“ Dinge herangeht, kannst du langsam die Trainingsanforderungen steigern und auch in einer weniger ruhigen Umgebung üben oder das Training ins Gelände verlagern (Achtung: nur für Fortgeschrittene).

Ob Futterlob für das Training verwendet werden sollte, hängt vor allem davon ab, ob und wie das Pferd die Verwendung kennt. Bei Pferden, die zuvor nicht mit Futterlob trainiert wurden, kann die Verwendung im Gelassenheitstraining dazu führen, dass sie sich übermäßig auf das Futter konzentrieren, anstatt sich mit dem eigentlichen Trainingsgegenstand auseinanderzusetzen. In diesem Fall hat man höchstens eine Ablenkung erreicht, nicht aber das Ziel der Einheit – nämlich, dass sich das Pferd bewusst mit etwas beschäftigt und es als nicht gefährlich erkennt und einstuft (Leiner, 2006).

Kennt das Pferd allerdings die Arbeit mit Futter (und hat entsprechende „Manieren“ dabei gelernt), kann Futter durchaus einen positiven Effekt haben (wenn man als Mensch auch das richtige Timing dafür beherrscht).

Eine Altersgrenze gibt es für das Gelassenheitstraining an sich nicht, auch mit Fohlen und jungen Pferden kann schon geübt werden – dann aber nur in besonders kurzen Einheiten und wirklich ohne jeden Zwang. Das beste „Gelassenheitstraining“ für Fohlen ist eine nervenstarke Mutter, die es von Anfang an richtig vormacht. Mehr dazu in unserem Artikel zum Fohlen-ABC.

DOs & DON‘Ts im Gelassenheitstraining

DOs

Arbeiten in kleinen Schritten

Das Training sollte stets in kurzen Einheiten und kleinen Schritten stattfinden. Das heißt, dass wir nicht gleich verlangen, dass sich das Pferd dem gefürchteten Gegenstand nähert, sondern dass wir uns für’s Erste vielleicht schon damit zufrieden geben, wenn es in einigen Metern Abstand ruhig daran vorbei geht. Bietet das Pferd von sich aus mehr an – super! Oft aber führen mehrere kurze Einheiten mit kleinen Erfolgserlebnissen schneller (und in jedem Fall nachhaltiger) zum Ziel als längere Einheiten, bei denen das Pferd überfordert oder gedrängt wird.

Dem Pferd genügend Zeit lassen

Es ist gut möglich, dass sich das Pferd anfangs nicht mit etwas auseinandersetzen möchte oder bei gewissen Dingen einfach länger braucht, bis es sich wohl damit fühlt. Das ist völlig in Ordnung – und wenn wir pferdegerecht trainieren wollen, lässt sich dieser Prozess auch kaum beschleunigen. Wir können dem Pferd nur immer wieder zeigen, dass es nichts zu befürchten hat.

Kurze Einheiten (+ Pausen)

Abhängig von Temperament und Vorgeschichte des Pferdes reichen oft schon wenige Minuten gezieltes Üben für die ersten Erfolge. Sobald etwas gut klappt, sollte man das Training abbrechen und am nächsten Tag wiederholen – uns Menschen fällt das oft sehr schwer, da wir ja gerade ein Erfolgserlebnis hatten und direkt darauf aufbauen möchten. Für den Trainingseffekt ist es aber besser, sich mit einem kleineren Erfolg zufrieden zu geben, anstatt durch weiteres Üben Misserfolge oder Widersetzlichkeiten zu provozieren. Das gilt prinzipiell bei jeder Art von Training, fällt beim Gelassenheitstraining aber ganz besonders ins Gewicht.

Das Feedback des Pferdes berücksichtigen

Auch dieser Punkt fällt vielen Pferdemenschen schwer. Einerseits, weil wir die Anzeichen vielleicht nicht richtig deuten, andererseits, weil wir sie nicht ernst genug nehmen. Natürlich wissen wir, dass eine raschelnde Jacke keine Gefahr darstellt – dein Pferd empfindet das nur eben anders als du. Unwohlsein kann sich bei Pferden sehr unterschiedlich ausdrücken, du bist daher in der Verantwortung, die Anzeichen bei deinem Pferd richtig zu interpretieren.

Unter anderem kannst du auf folgende Zeichen achten: Anlegen oder Zurückdrehen der Ohren, erhöhte Körperspannung, Gewichtsverlagerung nach hinten, angespannte Mimik, angespannte und „eingezogene“ Unterlippe oder auch vorgeschobene Oberlippe, geweitete Augen, hoch getragener Schweif. Erkennst du eines dieser Anzeichen, geh einen Schritt zurück und warte, bis sich dein Pferd wieder etwas entspannt.

Auf individuelle Unterschiede eingehen

Weiter oben haben wir es bereits angedeutet: Jedes Pferd ist anders, und bei jedem Pferd wird das (Gelassenheits-)Training etwas anders ablaufen. Nimm dir deswegen genügend Zeit, um die individuellen Grenzen und Ängste deines Pferdes zu erkennen und darauf einzugehen. Pferde bringen unterschiedliche Persönlichkeiten, Vorlieben und Lebensgeschichten mit, die allesamt großen Einfluss darauf haben, wie das Pferd mit „unheimlichen“ Dingen umgeht.

DON‘Ts

Zwang

Keinesfalls solltest du im Gelassenheitstraining mit Zwang und Angst arbeiten. Das klingt auf den ersten Blick logisch, allerdings gibt es zahlreiche „Trainingsmethoden“, die genau darauf basieren. Immer wieder sieht man, das Gegenstände am Pferd festgebunden werden oder es z.B. einen Klappersack am Strick nach sich ziehen muss. Lass uns ganz deutlich sein: Das ist weder nachhaltig (im Sinne von sinnvoll oder erfolgreich), noch pferdegerecht.

Im „besten Fall“ erreicht man damit, dass das Pferd irgendwann merkt, das nichts passiert. Leider lernt es dann aber immer noch, dass „sein“ Mensch es in unangenehme Situationen bringt und von ihm keine Hilfe zu erwarten ist. In Punkto Vertrauen schadet diese Methode eurer Beziehung also nur.

Im schlechtesten Fall bekommt das Pferd Panik und assoziiert diese Panik mit (seinem) Menschen – in diesem Fall hätte man die Ausgangssituation sogar noch verschlimmert, in dem man zur ursprünglichen Angst vor einem Gegenstand jetzt noch Misstrauen dem Menschen gegenüber hinzugefügt hat. Auch die Beziehung zum Menschen wird dadurch logischerweise negativ belastet.

So ein „Training“ kann auch dazu führen, dass das Pferd sich hilflos fühlt und diesen Zustand irgendwann als gegeben hinnimmt (Stichwort: Learned Helplessness). Das ist nicht nur ethisch nicht vertretbar, sondern schlichtweg auch sehr kontraproduktiv, wenn man eine auf Vertrauen basierende, gute Beziehung zu seinem Pferd möchte.

Auch Ansätze wie „da muss er jetzt durch“, „setz dich durch, der tut nur so“ oder alle Arten von Dominanz haben hier nichts verloren, denn sie zerstören die Basis dieser Art des Trainings.

Reizüberflutung

Das Pferd soll sich bewusst, ruhig und möglichst selbstbestimmt mit unheimlichen Gegenständen auseinandersetzen können. Dafür muss es sich konzentrieren können. Eine Reizüberflutung, wie sie etwa durch zu langes Üben, zu viele neue Dinge auf einmal oder gar das oben beschriebene Festbinden am gefürchteten Gegenstand entsteht, ist auch hier absolut nicht zielführend.

Fazit – Gelassenheitstraining

Das Gelassenheitstraining bildet einen wichtigen Baustein in der Grundausbildung jedes Pferdes. Dabei soll sich das Pferd ruhig, ohne Zwang und im eigenen Tempo mit Dingen, Geräuschen oder Gegenständen auseinandersetzen, die ihm nicht geheuer sind. Das Ziel ist es, dem Pferd zu zeigen, dass es im Alltag nichts zu befürchten hat und so seine Nervenstärke und innere Ruhe zu fördern. Damit einher geht ein reduzierter Risikofaktor im Reitsport, da das Pferd bei erfolgreichem und korrekt ausgeführtem Training weniger heftig reagieren und potentiell gefährliche Verhaltensweisen wie Durchgehen, Steigen, Bocken etc. deutlich weniger oft zeigen wird.

Quellen:

Deutsche Reiterliche Vereinigung, Cavallo (2018). Gelassenheitsprüfung für Sport- und Freizeitpferde.

Thompson K, McGreevy P, McManus P. A (2015). Critical Review of Horse-Related Risk: A Research Agenda for Safer Mounts, Riders and Equestrian Cultures. Animals. 2015; 5(3):561-575.

Leiner, Lisa (2006). Vergleich verschiedener Methoden zur Angstextinktion bei Pferden. Diplomarbeit der Fakultät für Biologie der Eberhard Karls Universität Tübingen.