Inhalt
Das Pferd als Herden-, Lauf- und Fluchttier
Was gibt es schöneres, als einen Tag im Stall mit deinem vierbeinigen Kumpel und Begleiter zu verbringen? Viele Pferdebesitzer/Reiter/Reitbeteiligungen etc. kommen schon früh mit Pferden in Kontakt. Meist entwickelt sich diese Leidenschaft in Kindertagen, pausiert vielleicht mal kurz und kommt dann wieder zurück. Und da wir oft in den Umgang mit Pferden einfach so hineinwachsen, machen wir uns vielleicht manchmal nicht so richtig Gedanken darüber, was unser Partner wirklich braucht. Es wird oft so weitergeführt, wie man es eben gelernt hat, denn so wird es ja schon lange gemacht und da kann ja nichts falsch dran sein.
Doch ist das wirklich immer der richtige Weg? Es lohnt sich, sich einmal die Grundbedürfnisse unserer treuen Freizeitbegleiter genauer anzuschauen und vielleicht entdeckt der/die eine oder andere doch eine Möglichkeit, die Haltung des eigenen Pferdes noch zu optimieren.
Denn eines wollen wir sicher alle: Dass es unserem Begleiter so gut wie nur möglich geht und er ein langes und gesundes Leben an unserer Seite führen kann!
Das Bewegungsverhalten
Als Fluchttier und Lauftier hat das Pferd ganz bestimmte Bedürfnisse, was sein Bewegungsverhalten angeht. Dabei verbringt es (in freier Wildbahn und unter ähnlich gestalteten Haltungsbedingungen) 50-75 % des Tages, also 12-18 Stunden mit Fressen und bewegt sich dabei in langsamem Schritt voran. Danach folgen Ruhezeiten im Stehen und Dösen mit 5-20 % des Tages und ganz zum Schluss geht es erst mit ein wenig Action weiter; Nur 5-15 % des Tages verbringen Pferde mit vom Fressen unabhängiger Bewegung.
Die Hauptgangart des Pferdes ist also eindeutig der Schritt. Dabei werden je nach Lage der Wasserstellen und der sonstigen (klimatischen) Verhältnisse etwa 6-11 km pro Tag zurück gelegt.
Dabei werden auch Pferde, genau wie wir Menschen von endogenen Faktoren ( also der „inneren Uhr“ gesteuert durch Hormone) und exogenen Faktoren (Lichtverhältnisse, Temperatur, Jahreszeiten, …) in ihrem Tagesablauf beeinflusst.
Wichtig in der Betrachtung des Bewegungsverhaltens der Pferde ist außerdem noch die Unterscheidung in Bewegungsbedürfnis und Bewegungsbedarf.
Das Bewegungsbedürfnis beschreibt das Ausmaß des Drangs jedes einzelnen Pferdes, sich zu bewegen. Es ist stark davon abhängig wie alt das Pferd ist, welcher Rasse es angehört, in welchem Klima es lebt und welches Futterangebot es zur Verfügung hat.
Der Bewegungsbedarf beschreibt hingegen die absolut nötige Bewegung, die ein Pferd braucht, um als Lauftier die Funktion des Bewegungsapparates und des Hufmechanismus, des Herz-Kreislaufsystems, des Verdauungs- und Atmungstraktes gesund zu erhalten. Denn das Pferd ist seit Millionen von Jahren auf das Laufen angepasst und wird ohne ausreichende Bewegung krank.
Das Ruheverhalten
Genau wie du auch, braucht das Pferd neben der Bewegung natürlich auch die Ruhe und Erholung. Dabei ist wichtig zu wissen, dass auch Pferde krank werden und Leistungseinbußen zeigen, wenn ihnen die nötige Ruhe und der Schlaf fehlen.
Pferde verbringen etwa 7-9 Stunden am Tag mit Ruhen. Dabei gibt es immer nur kurze Tiefschlafphasen im Liegen, 80 % der Ruhezeit Dösen sie im Stehen. Das Dösen im Stehen wird dabei durch eine besondere Konstruktion im Pferdekörper ermöglicht, wodurch eine weitgehende Entspannung der Muskulatur sogar im Stehen möglich ist.
Die Ruhephasen unserer Pferde verteilen sich außerdem über den ganzen Tag – das Pferd ruht also polyphasisch – wobei eine Phase im Schnitt etwa 20 Minuten andauert. Die Länge dieser Phasen hängt dabei stark vom Alter, der Rangordnung, der Jahreszeit, der Witterung und dem Geschlecht ab. In der Nacht häufen sich die Ruhephasen deutlich.
Darf das Pferd in einer Herde leben, kannst du beobachten, wie sich zu den Ruhephasen der Individualabstand verringert. Die Pferde gruppieren sich stärker und legen sich je nach Rangordnung sogar manchmal mit Körperkontakt ab.
Für eine gute Ruhephase braucht ein Pferd Sicherheit (von seinen Artgenossen), genug Platz, einen weichen, verformbaren und trockenen Untergrund und eine vertraute Umgebung.
Das Fressverhalten
Unsere Pferde verbringen (wenn sie können) 12-18 Stunden am Tag mit fressen. Dabei ist die natürliche Haltung ein gesenkter Kopf und eine leichte Fortbewegung.
Auch bei sehr gutem Futterangebot fressen Pferde mindestens 12 Stunden am Tag, das ist ein angeborenes Bedürfnis. Nach maximal 18 Stunden stehen jedoch andere Dinge an erster Stelle.
Auch im Fressverhalten ist ein Herdenverband von Vorteil, Fressen in der Gemeinschaft ist appetitanregend. Was schlussendlich das Fressbedürfnis stoppt, ist noch nicht ausreichend geklärt. Mögliche Signale sind die Befriedigung des Kaubedürfnisses oder die Wichtigkeit anderer sozialer Aspekte. Ein voller Magen ist dabei NICHT das ausschlaggebende Signal, denn Pferde haben keine Dehnungsrezeptoren im Magen und empfinden somit kein Völlegefühl wie wir.
Die Hauptfresszeiten der Pferde sind in den Morgen- und Abenddämmerungen, bis in die Nacht hinein. Von sich aus unterbricht das Pferd dabei jedoch kaum für längere Zeit das Fressen. Meist sind die Pausen nicht länger als eine Stunde, maximal jedoch 3-4 Stunden. Ziehen sich die Fresspausen länger, riskiert man gesundheitliche Schäden wie Koliken oder Magengeschwüre.
Wenn das Pferd dann doch mal von sich aus nicht mehr fressen möchte, ist höchste Alarmstufe angesagt. Gründe dafür können diverse Krankheiten sein, Zahnprobleme, Erschöpfung oder Überhitzung.
Je nach Rasse und Größe kaut das Pferd dabei 40-80 Mal pro Minute und braucht (als Großpferd) etwa 40-50 Minuten für 1 kg Heu mit ~ 3500 Kauschlägen. Für 1 kg Hafer hingegen braucht es nur etwa 10 Minuten bei ~ 800 Kauschlägen.
Es ist also ganz entscheidend für die Gesunderhaltung deines Vierbeiners, dass du das richtige Fütterungsmanagement im Blick hast. Dabei sollte mindestens der Erhaltungsbedarf* des Pferdes über das Grundfutter gedeckt werden (Heu, Gras, Heulage …), nach Möglichkeit auch der Leistungsbedarf*. Nur wenn dein Partner wirklich schwere körperliche Arbeit verrichten muss, wird ein zufüttern von Kraftfutter meist erst nötig.
*Erhaltungsbedarf = die Energie, die der Körper braucht, um alle lebensnotwendigen Funktionen aufrecht zu erhalten
*Leistungsbedarf = Energiebedarf, der zusätzlich zum Erhaltungsbedarf benötigt wird, um die erbrachte Leistung abzudecken
Das Trinkverhalten
Das Pferd ist ein sogenannter Saugtrinker und setzt beim Trinken die Lippen auf die Wasseroberfläche und saugt durch einen entstehenden Unterdruck das Wasser an. Ausreichend Wasser ist für eine ungestörte Funktion des Verdauungssystems und die Regulation des Wärmehaushalts unabdingbar. Wie viel Wasser dein Pferd benötigt hängt davon ab in welchem physiologischen Zustand es sich befindet, welche Leistung es erbringen muss (also wie viel es schwitzt), wie sein Futter zusammengesetzt ist und welche Temperaturen herrschen.
Ein 500 kg Pferd braucht dabei etwa 15-50 Liter Wasser am Tag.
Wenn ein Wassermangel bei deinem Pferd auftritt, kannst du das an Verdauungsstörungen erkennen (bis hin zur Verstopfungskolik), einem Leistungsrückgang, verminderter Futteraufnahme und eingefallenen Flanken.
Du solltest deinem Pferd also immer genügend Wasser zur Verfügung stellen. Dabei muss die Tränke das Saugtrinken ermöglichen, sie muss vor Frost geschützt sein und sollte möglichst vom Futterplatz getrennt sein. Zum einen legt dein Pferd dadurch mehr Wegstrecke zurück, wenn es von Futter zu Wasserplatz pendeln muss, zum anderen bleibt die Tränke sauber und dein Pferd kommt nicht auf die Idee das Futter einzutauchen. Das führt nämlich meist dazu, dass weniger gekaut und somit weniger eingespeichelt wird, was aber wichtig für eine optimale Verdauung ist.
Das Sozialverhalten
Unser Partner Pferd ist ein hochsoziales Tier und braucht Artgenossen, um geistig und körperlich gesund zu bleiben. So ist es auch im Tierschutzgesetz festgehalten:
„Wer ein Tier hält, betreut oder zu betreuen hat,
1. muss das Tier seiner Art und seinen Bedürfnissen entsprechend angemessen ernähren, pflegen und verhaltensgerecht unterbringen,
2. darf die Möglichkeit des Tieres zu artgemäßer Bewegung nicht so einschränken, dass ihm Schmerzen oder vermeidbare Leiden oder Schäden zugefügt werden,§2 Tierschutzgesetz
3. muss über die für eine angemessene Ernährung, Pflege und verhaltensgerechte Unterbringung des Tieres erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen.“
Aus den Vorgaben des Tierschutzgesetzes hat das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (bmlev) die „Leitlinien zur Beurteilung von Pferdehaltungen unter Tierschutzgesichtspunkten“ hervorgebracht. Diese konkretisieren die Anforderungen an die Haltung noch etwas mehr:
„Die Kontaktmöglichkeiten zwischen den Pferden dürfen durch die Haltungsform und ihre konkrete Ausgestaltung nur so wenig wie möglich behindert werden. In jedem Fall ist mindestens Sicht-, Hör- und Geruchskontakt zwischen den Tieren sicherzustellen.“
BMLeV (2009), Leitlinien zur beurteilung von pferdehaltungen unter Tierschutzgesichtspunkten
„Fohlen und Jungpferde dürfen aus Gründen ihrer sozialen Entwicklung nicht einzeln gehalten werden und müssen in Gruppen aufwachsen. Wo immer möglich, sollte die Aufzucht in Gruppen mit Gleichaltrigen erfolgen. Aus Erziehungsgründen ist es von Vorteil in Jungpferdegruppen auch ältere Tiere zu halten.“
Das Leben in der Herde ist für das Beutetier Pferd überlebenswichtig, allein auf sich gestellt würde es in freier Natur schnell einem Raubtier zum Opfer fallen. Artgenossen geben also Sicherheit. Eine Sicherheit, ohne die ein Pferd viele Verhaltensweisen nicht oder nur kaum zeigen würde. Ein erholsames Ruhen oder gar Tiefschlafphasen wären höchst riskant, das Fressen weniger entspannt und unter ständiger Angst vor Fressfeinden begleitet und alle anderen sozialen Bedürfnisse, wie der Kontakt zu Artgenossen zum Spielen und zur sozialen Fellpflege, fielen ganz weg. Ein trauriges und bemitleidenswertes Leben für jedes Pferd.
Pferde bilden innerhalb einer Gruppe Hierarchien, die sogenannte Rangordnung aus. Sie kann immer mal wieder wechseln, je nach Struktur der Gruppe (Alter, Geschlecht). Meist sind Herden mit festen Mitgliedern jedoch relativ stabil. Deshalb sollte unbedingt darauf geachtet werden, dass Gruppen möglichst nicht ständig durcheinander gewürfelt werden. Eine intakte Herdenstruktur vermittelt Sicherheit und Ruhe und ist vor allem für ältere oder sozial niedrige Tiere extrem wichtig, damit auch sie zu ihrer benötigten Fress- und Ruhezeit kommen.
Konsequenzen für die Pferdehaltung
Was ist nun das Fazit für unsere Pferdehaltung? All die Grundbedürfnisse im Hinterkopf sollte dir spätestens jetzt klar sein, dass viele leider noch immer in vielen Ställen praktizierte Haltungsformen eigentlich ein absolutes Tabu für unseren Partner Pferd sind. Dazu zählt die (reine) Boxenhaltung mit wenig bis gar keinem freien Auslauf und/oder Kontakt zu Artgenossen.
Unser Ziel sollte es sein, unter den gegebenen Bedingungen die maximal artgerechte Haltung umzusetzen. Dabei muss eventuell auch der ein oder andere egoistische Gedanke über Bord geworfen werden, wenn es um die eigene Bequemlichkeit oder zeitliche Investition geht.
Nicht überall lassen sich Offen-, Lauf- oder Aktivstallkonzepte umsetzen. Trotzdem ist auch dann eine weitgehend artgerechte Haltung möglich, wenn zumindest tagsüber auf geeigneten Flächen mit anderen Artgenossen der Auslauf gewährleistet wird. Egal in welcher Haltungsform, dem Pferd sollte auch die Auslauffläche attraktiv gestaltet werden bzw. sollte diese zur Bewegung animieren. Kahle Flächen ohne Anreiz führen dazu, dass Pferde die meiste Zeit auch nur an einem Fleck stehen und sich kaum bewegen. Anreiz kann geboten werden durch unterschiedliche Areale – Wälzplätze, Futterplätze, Tränken, Stationen für die selbständige Fellpflege – und vielseitig gestaltete Wege zu den jeweiligen Anlaufstellen.
Deine Kreativität ist also gefragt! Betrachte doch an einem freien Tag mal ganz genau die Haltungsform, in der dein vierbeiniger Partner untergebracht ist. Beobachte auch dein Pferd dabei ganz genau: Zeigt es Anzeichen von Stress, Verhaltensauffäligkeiten oder gar Krankheiten, die Haltungsbedingt sein könnten? Und überlege dir ganz unabhängig davon, ob und wie du die Haltung eventuell noch verbessern und optimieren könntest. Zusammen mit Reiterfreunden aus dem Stall macht das Ganze noch mehr Spaß und vielleicht lässt sich das ein oder andere ja auch tatsächlich in einem tollen gemeinsamen Projekt umsetzen, das zusätzlich die Stallgemeinschaft stärkt!
Quellen:
Zeitler-Feicht, M. H. (2008). Handbuch Pferdeverhalten. (2. Auflage). Ulmer: Stuttgart.
BMLEV (2009). Leitlinien zur Beurteilung von Pferdehaltungen unter Tierschutzgesichtspunkten. BMLEV: Bonn.
Tierschutzgesetz